Gesta Romanorum oder Die Taten der Römer, 172. Kapitel: Die Sage vom edlen Ritter Guido - bitedition.net

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Gesta Romanorum oder Die Taten der Römer

Die Sage vom edlen Ritter Guido

aus
Gesta Romanorum oder Die Taten der Römer,
dem ältesten Märchen- und Sagenbuch des christlichen Mittelalters

Es gab einen gewissen König in England, in dessen Reich zwei Ritter lebten, der eine hieß Guido, der andere Tyrius. Guido hatte in vielen Schlachten gekämpft und in jedem Krieg den Sieg davon getragen, liebte aber ein Mädchen von edler Geburt gar sehr, das er jedoch nicht eher bekommen konnte, als bis er aus Liebe zu ihr einige schwere Kämpfe bestanden hatte. Endlich erlangte er sie durch einen Zweikampf und vermählte sich mit ihr mit großen Ehren. In der dritten Nacht darauf stand er nach dem Hahnenschrei von seinem Lager auf und schaute das Firmament scharf an und erblickte unsern Herrn Jesus-Christus mitten unter der Sternen, der zu ihm redete: „Guido, Guido, so wie du oft einem einzigen Mädchen zu Liebe Gefechte unternommen hast, so ist es nun an der Zeit, dass du dich um meiner Willen bemühst, männlich gegen meine Feinde zu streiten.“ Als Jesus-Christus so gesprochen hatte, verschwand er.

Wie aber Guido merkte, dass es der Wille Gottes sei, dass er nach dem gelobten Lande ziehen und Christus an den Ungläubigen rächen sollte, da sprach er zu seiner Gattin: „Ich denke, dass du schon von mir ein Kindlein empfangen hast, das ziehe du auf, bis ich wieder komme, weil ich gesonnen bin, nach dem heiligen Grabe zu ziehen.“ Als seine Frau das hörte, sprang sie wie rasend aus dem Bett, nahm einen Dolch, der am Kopfende ihres Bettes lag, und sprach: „O Herr, ich habe dich stets geliebt, und nur aus Liebe zu dir, damit du erst viele Fehden bestehen konntest, um deinen Ruhm in der ganzen Welt zu verbreiten, habe ich so lange gewartet, bis ich mit dir durch das Band der Ehe verbunden ward. Nun aber bin ich von dir schwanger worden, und du willst dich jetzt von mir entfernen. Eher will ich mich selbst mit diesem Dolch umbringen.“

Aber Guido stand auf, entwand ihr den Dolch und sprach: „Meine Liebe, deine Worte jagen mir Furcht ein, denn ich habe Gott das Versprechen gegeben, das heilige Grab zu besuchen, und jetzt ist es eine weit passendere Zeit ein Gelübde zu erfüllen, als im hohen Alter. Ich werde mit Gottes Hilfe bald wieder zu dir zurückkommen. Sie aber, durch seine Worte ermutigt, reichte ihm einen Ring und sagte: „Nimm diesen Ring und gedenke meiner in der Fremde, so oft du ihn ansiehst, ich aber will geduldig deine Rückkunft abwarten.“ Der Ritter nahm also Abschied von ihr und nahm den Ritter Tyrius mit sich; sie aber weinte viele Tage lang und konnte sich nicht trösten. Als aber ihre Zeit gekommen war, gebar sie einen sehr schönen Knaben und erzog ihn aufs Zärtlichste.

Wie aber Guido und Tyrius durch vieler Herren Länder gezogen waren, war zuletzt auch das Reich Dakien durch die Ungläubigen verwüstet worden und Guido sprach zu seinem Begleiter: „Mein Lieber, du musst dich in jenes Land begeben und mit allen Kräften dem König gegen die Ungläubigen beistehen, weil er ein Christ ist. Ich aber will in das gelobte Land ziehen und gegen die Feinde Christi kämpfen. Danach werde ich aber wieder zu dir zurückkehren, und dann werden wir mit Freuden wieder nach England gehen.“ Tyrius aber entgegnete: „Was dir recht ist, gefällt auch mir. Ich will in jenes Reich ziehen, und wenn du am Leben bleibst, komm wieder zu mir, und wir können dann in unser Vaterland zurückkehren.“ Guido erwiderte: „Das verspreche ich dir treulich.“ Hierauf küssten sie einander, weinten beim Abschied bitterlich; und so zog Guido ins Heilige Land und Tyrius nach Dakien.

Guido kämpfte in vielen Schlachten gegen die Sarazenen und Heiden, und siegte in jedem Kampf, so dass sein Ruhm durch den ganzen Erdkreis flog; aber auch Tyrius trieb auf gleiche Weise alle Ungläubigen aus dem Königreich Dakien, schlug viele Schlachten und blieb immer Sieger. Darum gewann ihn der König vor Allen lieb und ehrte ihn und vom Volk wurde er so hoch geschätzt, dass ihm der König viele Schätze gab. Es gab aber zu dieser Zeit in jenem Reiche einen sehr tapferen Raubritter, Namens Plebeus, der neidisch auf Tyrius war, weil er so schnell zu Reichtum und Ehre gelangt war. Er klagte ihn bei dem König des Verrats an, behauptete, dass er im Schilde führe den König der Herrschaft zu berauben. Der König aber, der seinen Worten glaubte, weil er ein mächtiger und tapferer Mann war, nahm Tyrius alle seine Ehren und Besitztümer wieder ab, so dass er in großer Bedürftigkeit versank und kaum seinen täglichen Unterhalt hatte. Tyrius war sehr traurig, weil er so allein und verlassen und in Not geraten war, weinte bitterlich und dachte: „Wehe mir, was soll ich anfangen?“

Wie er so traurig umherging, begegnete ihm Guido in einem Pilgergewand. Als ihn Tyrius bemerkte, erkannte er ihn nicht. Guido aber erkannte ihn sofort, wollte ihm aber nicht verraten, wer er sei und sagte zu ihm: „Mein Bester, wo bist du her?“ Jener aber erwiderte: „Aus weiter Ferne, allein ich habe schon mehrere Jahre in diesem Lande gelebt, und hatte einen Gefährten, der nach dem gelobten Lande gezogen ist, weiß aber freilich nicht, ob er lebt oder gestorben ist, oder wie es ihm geht.“ Guido versetzte darauf: „Um Deines Gefährten Willen erlaube mir in Deinem Schoße ein wenig zu ruhen, ob ich vielleicht etwas schlafen kann, weil ich von meiner Reise ermüdet bin.“ Tyrius gab ihm die Erlaubnis dazu, und wie Guido jetzt in seinem Schoße eingeschlafen war, sah er, wie sich sein Mund öffnete und ein weißes Wiesel herauskam und zu einem Berg, der in jener Nähe war, lief; nachdem es dort einige Zeit zugebracht hatte, kam es wieder und lief wieder in Guidos Mund hinein. Hierauf erwachte Guido aus dem Schlaf auf und sprach: „Mein Lieber, ich habe einen wunderlichen Traum gehabt: Es kam mir vor, als wenn ein Wiesel aus meinem Munde käme, in jenen Berg liefe und dann wieder in meinen Mund zurückkehrte.“ Tyrius entgegnete: „Mein Bester, gerade wie du es in deinem Traum gesehen hast, habe ich es mit meinen Augen gesehen, weiß jedoch überhaupt nicht, was das Wiesel in dem Berg gemacht hat.“ Hierauf sagte Guido: „Wir wollen deide in den Berg gehen, vielleicht finden wir da etwas Nützliches.“

Sie begaben sich also in den Berg, und sie fanden einen toten Drachen, dessen Bauch ganz mit Gold gefüllt war, mit einem schön geschliffenen Schwerte, auf welchem folgende Inschrift stand: „Durch dieses Schwert wird der Ritter Guido den Feind des Tyrius überwinden.“ Wie aber Guido diesen Drachen gefunden hatte, freute er sich sehr und sprach zu Tyrius: „Mein Lieber, ich schenke dir den ganzen Schatz, allein das Schwert will ich für mich behalten.“ Tyrius aber erwiderte: „O Herr, ich habe es um dich nicht verdient, dass du mir ein solches Geschenk machst.“ Und jener sprach: „Schlag deine Augen auf und schau mich an, ich bin ja dein Geselle Guido.“ Wie aber jener das hörte, schaute er ihn genau an und erkannte ihn sogleich, fiel vor Freude zur Erde nieder, weinte bitterlich und sagte: „Nun habe ich genug gelebt, da ich dich wieder gesehen habe.“ Dieser aber versetzte: „Steh schnell wieder auf, du solltest dich lieber über meine Ankunft freuen als weinen, denn ich werde gegen deinen Widersacher für dich kämpfen, und wir deide werden mit Ehren nach England ziehen. Sieh nur vor allen Dingen zu, dass du keinem Menschen sagst, wer ich bin.“

Da stand Tyrius auf, fiel ihm um den Hals und küsste ihn, begab sich aber nachher mit dem Gold in sein Haus, während sich Guido zum königlichen Palast begab und an die Pforte desselben klopfte. Der Türhüter fragte sogleich nach dem Grunde seines Klopfens, jener aber sprach: „Ich bin ein Pilger, der neulich vom heiligen Grabe gekommen ist.“ Sofort ließ man ihn ein und stellte ihn dem König vor. Aber an der Seite des Königs saß jener Raubritter, der Tyrius um Ehre und Gut gebracht hatte, und der König fragte: „Wie steht´s jetzt mit dem gelobten Land? Guido antwortete: „Jetzt herrscht tiefer Friede dort, und viele sind zum Christentum bekehrt worden.“ Der König fragte weiter: „Hast du vielleicht jenen englischen Ritter Guido gesehen, der so viele Schlachten gewonnen hat?“ Er antwortete: „O ja Herr, den habe ich oft gesehen und sogar mit ihm gespeist.“ Der König: „Spricht man dort auch von den Königen der Christenheit?“ Der Pilger entgegnete: „O ja Herr, auch über deine Person, wie die Sarazenen und andere Ungläubigen dein Reich viele Jahre lang in Besitz gehabt haben, und wie du durch einen Ritter Namens Plebeus jenen edlen Ritter Tyrius aller seiner Ehren und Schätze beraubt hast, und man sagt, das sei ungerecht von dir gewesen.“

Wie das Plebeus gehört hatte, sprach er: „Du falscher Pilger, der du solche Lügen erzählst, du verdientest wohl ihn verteidigen zu müssen, falls ich gegen dich kämpfen wollte, denn Tyrius wollte den König, unsern Herrn vom Throne stoßen.“ Da sprach Guido zum König: „Mein Herr, weil er behauptet, ich sei ein falscher Pilger und der Ritter Tyrius ein Verräter, so will ich mit Eurer Erlaubnis mit ihm kämpfen und an seinem Leibe beweisen, dass er ein falscher Verleumder ist.“ Der König entgegnete: „Mir ists ganz recht, ich bitte dich sogar Dein Vorhaben auszuführen.“

Darauf sagte Guido: „Herr gib mir Waffen.“ Der König versetzte:“ Alles, was du brauchst, sollst du haben.“ Hierauf bestimmte er den Tag des Zweikampfes zwischen ihnen, weil er aber fürchtete, der Pilger Guido möchte indessen durch Hinterlist umgebracht werden, so rief er seine Tochter, die noch Jungfrau war, zu sich und sagte zu ihr: „Mein Kind, wenn du Dein Leben lieb hast, so bewache diesen Fremden sorgfältig, und du sollst alles haben, was du brauchst.“ Hierauf führte sie den Pilger in ihre Kammer, ließ ihn ein Bad nehmen und behielt ihn nach Gefallen bei sich.

Als der Tag des Kampfes gekommen war, da stellte sich der bewaffnete Plebeus früh ans Tor und schrie: „Wo ist der falsche Pilger, warum zaudert er so lange?“ Wie aber jener das gehört hatte, legte er seine Waffen an, und beide begaben sich auf den Kampfplatz. Sie stießen nun beide so mit ihren Lanzen zusammen, dass Plebeus beinahe seinen Geist hätte aufgeben müssen, wenn er nicht wenigstens etwas trinken konnte, also sagte er: „O guter Pilger, erlaube mir nur einmal Wasser zu trinken.“ Der aber versetzte: „Wenn du mir versprichst, mir dieselbe Gefälligkeit zu erweisen, wenn es die Umstände erfordern, so erlaube ich es.“ Plebeus entgegnete: „Ich verspreche dir das hoch und heilig.“

Darauf begab er sich zu einer Quelle und trank sich satt, rannte aber dann mit seiner ganzen Kraft gegen Guido an, und beide kämpften nun mannhaft gegen einander, bis auch Guido Durst bekam und sagte: „Mein Bester, erweise mir jetzt dieselbe Gefälligkeit, die ich dir erzeigt habe, denn ich habe unglaublichen Durst“. Der aber erwiderte: „Ich schwöre zu Gott, dass du nur an meiner tapferen Faust deinen Durst stillen sollst.“ Als das Guido hörte, verteidigte er sich so, dass er der Quelle immer näher kam, und als er ganz nahe am Wasser war, sprang er auf einmal hinein und trank so viel er Lust hatte. Als er das Gewässer wieder verließ, stürzte auf Plebeus wie ein brüllender Löwe los, und der suchte sein Heil in der Flucht. Aber als der König das sah, ließ er sie von einander trennen und diese Nacht ausruhen, damit sie beide am nächsten Morgen zum Kampf bereit wären.

Der Pilger begab sich wieder in das Gemach der Königstochter, die ihm Erfrischungen reichte, seine Wunden verband, und nachdem er eine Mahlzeit eingenommen hatte, ihn auf einem sehr harten Holzbett seine Ruhestätte aufschlagen ließ. Guido, vom Kampf ermüdet, schlief sofort ein.

Nun war es aber so, dass Plebeus sieben tapfere Söhne hatte, die rief er zu sich und sagte: „Ihr Lieben, Ihr seid meine Söhne, ich sage Euch, dass, wenn dieser Fremde nicht noch in dieser Nacht getötet wird, werde ich Morgen zu den Toten gezählt werden, denn einen tapfereren Mann, als er ist, habe ich noch nicht gesehen.“ Seine Söhne antworteten: „Vater, in dieser Nacht soll er also ermordet werden.“ Um Mitternacht, als alle schliefen, drangen sie in das Gemach der Prinzessin, welches nahe am Meer gebaut war, so dass das Meerwasser unter dem Zimmer gegen die Felsen brandete. Plebeus Söhne berieten sich: „Wenn wir ihn in seinem Bett umbringen, sind wir des Todes, lasst ihn uns also zusammen mit samt seinem Bett ins Meer werfen, denn dann wird das Volk glauben, dass er geflohen ist.“ Darauf ergriffen sie den schlafenden Pilger und warfen ihn ins Meer. Der Fremde schlief fest und merkte nichts.

Aber in dieser Nacht befand sich zur selben Zeit ein Fischer auf dem Meer, der, als er das Getöse, welches das Bett beim Herabstürzen machte, hörte und es beim Mondschein sah, sich wunderte und mit lauter Stimme rief: „Sag mir um Gottes Willen, wer du bist, auf dass ich dich retten kann, ehe du untergehst.“ Als Guido das Schreien hörte, da wachte er auf, und als er die Sterne am Firmament erblickte, wunderte er sich, wo er sei. Bald erkannte er, dass er im Wasser war und rief dem Fischer zu: „Lieber hilf mir und ich will dich belohnen, denn ich bin ein Pilger, der gestern auf dem öffentlichen Kampfplatz gekämpft hat, wie ich aber hierher gekommen bin, davon hab ich nicht die geringste Ahnung.“ Als das der Fischer hörte, nahm er ihn in seinen Kahn auf, nahm ihn mit sich nach Hause und ließ ihn sich in einem Bett ausruhen.

Die Söhne des Plebeus aber gingen zu ihrem Vater und meldeten ihm, dass Guido im Meer versunken sei, und er sich in Zukunft nicht mehr vor ihm fürchten solle. Plebeus freute sich nicht wenig, stand bei Zeiten auf, wappnete sich und begab sich an die Pforte des Palastes und rief: „Führt den Pilger heraus, auf dass ich mich an ihm rächen kann.“ Als das der König gehört hatte, befahl er seiner Tochter ihn zu wecken, damit er sich zum Kampfe rüsten könne, sie begab sich zu seinem Lager, aber fand ihn nicht. Das Mädchen weinte bitterlich und sagte: „Weh mir, mein Schatz ist fort“, und meldete ihrem Vater, dass sie ihn nicht angetroffen habe. Auch der König ward sehr traurig, aber sie wunderten sich, dass sie auch das Bett nicht mehr fanden. Hierauf meinten einige, er sei geflohen, andere, man habe ihn ermordet, und Plebeus schrie beständig an der Pforte: „Führt diesen Fremden heraus, denn ich will heute seinen Kopf dem König überreichen.

Während man im Schloss noch Nachforschungen darüber anstellte, was aus dem Pilger geworden sei, kam der Fischer zum König und sprach: „Herr, trauert nicht länger, denn als ich diese Nacht mit Fischen auf dem Meere beschäftigt war, fand ich den ins Wasser gestürzten Pilgrim, nahm ihn auf, führte ihn in mein Haus und habe ihn daselbst schlafend verlassen.“ Wie das der König hörte, freute er sich sehr und schickte nach ihm, dass er sich zum Kampf rüsten sollte. Als aber Plebeus vernahm, dass er nicht tot sei, fürchtete er sich sehr und begehrte vom König einen Aufschub des Kampfes. Der König wollte ihm aber auch nicht eine einzige Stunde Waffenstillstand zugestehen. Also begaben sich beide auf den Kampfplatz und hieben auf einander los, allein schon beim dritten Hieb schlug ihm Guido den Arm ab, später auch den Kopf und überreichte ihn dem König. Der König aber freute sich sehr, dass der Fremde einen so rühmlichen Triumph erhalten hatte, und als er hörte, dass ihn die Söhne des Plebeus ins Meer gestürzt hatten, ließ er sie an den Galgen hängen. Der Pilger aber verabschiedete sich vom König, obwohl dieser ihm viele Geschenke in Aussicht stellte, wenn er bei ihm bleiben wolle, allein Guido willigte nicht ein. Da gab ihm der König viel Gold und Silber, was er aber alles seinem Tyrius gab. Und der König zusammen mit ihm, setzte Tyrius wieder in seine frühere Würde ein und gab ihm große Güter; dann nahm er Abschied vom Könige.

Der König aber sprach zu ihm: „Mein Lieber, ich habe bei Gott eine Bitte an dich, nämlich dass du mir, ehe du fortziehst, deinen Namen sagst.“ Er entgegnete: „Herr, ich heiße und bin jener Guido, von dem du schon gehört hast“. Als das der König hörte, fiel er ihm um den Hals und versprach ihm einen großen Teil seines Reiches, wenn er bei ihm bleiben wolle. Guido aber wollte sich durchaus nicht dazu überreden lassen, sondern küsste den König und ging weg.

Bald kam Guido in England und bei seiner Burg an. Vor dem Tor fand er aber eine große Menge Bettler sitzend, und die Gräfin, seine Gemahlin, saß als Pilgerin gekleidet mitten unter ihnen. Sie selbst bediente sie alle Tage und gab jedem Armen einen Heller mit den Worten: „Betet für meinen Herrn Guido, dass ich, ehe ich sterbe, ihn noch einmal sehen kann, und er glücklich wieder nach Hause kommt, denn er ist nach dem heiligen Grabe ausgezogen.“ An diesem Tag war es aber nun so, dass ihr Sohn, welcher jetzt sieben Jahre alt war, in prächtigen Kleidern seine Mutter unter die armen Leute begleitete. Als das Kind hörte, dass seine Mutter jedem Bettler den Namen ihres Herrn Guido nannte, sprach er: „O Mutter, ist das mein Vater, den du den armen Leuten so empfiehlst?“ Sie erwiderte: „Ja mein Sohn. In der dritten Nacht, nachdem ich dich empfangen hatte, ist er von mir gegangen, und seitdem habe ich ihn nicht wieder gesehen.“ Wie aber die Frau der Reihe nach durch die Bettler schritt, kam sie auch zu ihrem Mann Guido und gab ihm Almosen, erkannte ihn aber nicht wieder. Er aber neigte sein Haupt zur Erde, um nicht erkannt zu werden, und wie nun die Dame auch zu den andern Armen weiter ging, folgte ihr ihr Sohn, und wie Guido seine Augen wieder aufschlug und seinen Sohn erblickte, den er vorher noch nie gesehen hatte, konnte er sich nicht mehr halten, sondern nahm sein Kind auf den Arm, küsste es und sagte: „Mein süßes Kind, möge dir unser Herrgott die Gnade verleihen, ihm stets wohlgefällig zu sein.“ Als aber die Mägde sahen, dass er ihn geküsst hatte, rief man ihm zu, er solle nicht länger da stehen bleiben. Aber Guido trat zu seiner Gemahlin und bat sie um einen Platz im Wald, wo er bleiben könnte; sie aber, welche ihn für einen Pilger hielt, ließ ihm, um Gottes und ihres Mannes Willen, eine Einsiedelei bauen, wo er lange Zeit blieb.

Als nun aber die Stunde seines Todes nahe war, ließ er seinen Diener rufen und sprach: „Geh schnell, mein Lieber, zur Gräfin hin, gib ihr diesen Ring und sage ihr, dass, wenn sie mich zu sehen wünscht, sie sofort zu mir kommen soll.“ Der Bote begab sich zu seiner Gebieterin und zeigte ihr den Ring. Kaum hatte sie denselben gesehen, so rief sie mit lauter Stimme: „Das ist der Ring meines Mannes!“ und lief schnellen Schrittes in den Wald, jedoch noch bevor sie ankam, war Guido gestorben. Sie warf sich über seinen Leichnam und schrie mit lauter Stimme: „Weh mir, meine Hoffnung ist dahin“, und während sie Seufzer und Wehklagen ausstieß, fügte sie hinzu: „Wo ist jetzt das Almosen, das ich jeden Tag für meinen Herrn gespendet habe? Ich sah meinen Herrn Almosen empfangen und habe ihn nicht erkannt! Du hast Deinen Sohn gesehen, ihn gestreichelt und geküsst, und dich doch weder mir noch ihm zu erkennen gegeben. Was hast du getan Guido, nun werde ich dich nie wieder sehen.“ Dann ließ sie ihn mit großen Ehren zu Grabe tragen, und betrauerte seinen Tod viele Jahre lang.

Quellenangabe:
Gesta Romanorum oder Die Taten der Römer,
dem ältesten Märchen- und Sagenbuch des christlichen Mittelalters, II, 172. Kap.
1842 von Dr. Johann Georg Theodor Grässe aus dem Lateinischen übersetzt.
Leicht überarbeitet, an die heutige Rechtschreibung angepasst, ohne Moralisationen.
Copyright: Gemeinfrei.

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